IMBANGALA: CHRONIK DES VERGESSENEN DRACHEN
„Hörst du das?
Es ist kein Sturm.
Kein Wind in den Baumkronen. Es ist der Atem Imbangalas – des Drachen, der aus den Schatten menschlicher Fehler geboren wird. Fürchte dich…
noch nicht.
Er ist nicht hier, um dich zu zerstören. Er ist hier, um dich zu lehren.“
Nigeria, 2025. Im Herzen Afrikas, zwischen den Hügeln und Flüssen des Tiv-Volkes, erwacht eine Geschichte, die die Welt vergessen hat. Imbangala – der Drache des Chaos, der Wächter des Gleichgewichts, das Gespenst des
Unvermeidlichen.
Ist es nur eine Legende? Oder hallt sein Brüllen in den brennenden Wäldern, den schmelzenden Gletschern, den gespaltenen Gesellschaften wider? Schließe die Augen. Spüre die Erde unter deinen Füßen. Und lass Imbangala dir seine Geschichte flüstern.“
Stell dir ein Ungeheuer vor.
Zwanzig Meter lang – größer als ein Stadtbus, größer als deine Wohnung. Schuppen, hart wie Panzerstahl, glänzend wie nasser Obsidian im Mondlicht. Flügel, die ein ganzes Fußballfeld überspannen, einen Schatten auf ein Dorf werfen. Krallen, jede so groß wie eine Lanze, die Felsen wie Papier
zerschneiden.
Doch am schrecklichsten sind seine Augen. Sie brennen nicht, sie glitzern nicht. Sie sind wie tote Seen, in denen die ertrinken, die vergessen haben – die Erde, die Vorfahren, einander.“
Imbangala ist kein Drache aus Fantasy-Büchern. Er ist ein Symbol des Tiv-Volkes – über fünf Millionen Menschen im Herzen Nigerias, in den Staaten Benue, Taraba und Nasarawa. Die Tiv sind Hüter der Tradition, die seit Jahrhunderten Geschichten am Lagerfeuer unter Sternen erzählen.
Für sie ist Imbangala kein Monster, das man besiegt, wie der Drache des heiligen Georg in Europa. Er ist eine Warnung. Er bestraft die, die Wälder zerstören, ihre Vorfahren vergessen, die Gemeinschaft durch Gier zerreißen.“
„In Europa hütet Fafnir Gold und verkörpert Gier. In China bringt Long Regen und Glück. Doch Imbangala ist anders. Er ist der Drache der Erde – wild, unbezähmbar, afrikanisch.
Sein Brüllen ist die Stimme der Natur, die spricht: ‘Hört auf, oder ihr werdet untergehen’. Seine Geschichte beginnt vor Jahrhunderten, als die Tiv durch die Savanne zogen, Geschichten von Chaos und Erlösung tragend. In unseren Wäldern könnte man ihn Nidhögg nennen, den Drachen, der die Wurzeln des Weltenbaums nagt – doch Imbangala ist mehr. Er ist lebendig.“
Man erzählt, dass Imbangala 1911 in der Nacht kam. Er hinterließ eine Spur, groß wie ein Fluss. Er verbrannte die Felder derer, die um Land stritten. Doch er verschonte die, die zusammen tanzten – Schulter an Schulter, im Rhythmus der Trommeln, als wäre ihre Einheit ein Schild gegen das Chaos.“
Wer ist Imbangala? Ein Drache? Ein Symbol? Oder etwas, das beides verbindet?
Um das zu verstehen, müssen wir tiefer blicken – in die Erde, in die Vergangenheit, in uns selbst.“
„2024. Das Tal des Benue-Flusses, Nigeria. Eine Gruppe von Wissenschaftlern der Universität Abuja gräbt in der ausgedörrten Erde.
Sie finden etwas, das alles verändert: eine Schicht vulkanischen Glases, verborgen unter Sand. Datierung? 1635 – die Zeit, als die Tiv-Legenden erzählen, Imbangala habe Felder verbrannt und das Volk fast ausgelöscht.
War der ‘Atem des Drachen’ die Lava des Biu-Plateau-Vulkans? Sahen die Tiv etwas, das die Wissenschaft erst jetzt versteht?“
Geologen sind sich einig: Die Lava des Biu-Plateau konnte Erde in Glas verwandeln, genau wie die Legenden von Imbangalas ‘Speichel’ beschreiben. Die Tiv hatten kein Wort für ‘Vulkan’.
Sie nannten es einen Drachen – ein Wesen, das für mangelnden Respekt vor der Erde bestraft.“
Die Ältesten sagten: ‘Wenn Imbangala atmet, brennt die Erde. Wenn seine Krallen schneiden, sterben die Felder.’
Hier liegt ein weiterer Hinweis. ‘Krallen, die Felsen schneiden’ sind eine Metapher für Bodenerosion – ein Problem, das die Bauern der Tiv seit Jahrhunderten plagt. Im Sprachgebrauch der Tiv bedeutet ‘Imbangala’ auch ‘das Unvermeidliche’ – Dürren, Überschwemmungen, Hunger. Kräfte, die wir heute als Folgen des Klimawandels kennen.“
Laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen hat die Bodenerosion im Benue-Gebiet die Ernteerträge in den letzten 20 Jahren um 25 % reduziert. Das kostet Bauern jährlich Milliarden.
Ist Imbangala nur ein Mythos? Oder sahen die Tiv etwas, das wir erst jetzt lernen zu verstehen? Deutsche Forscher, wie die des Max-Planck-Instituts, bestätigen: Der Klimawandel bedroht unsere Böden genauso wie die der Tiv.“
„In Lagos nutzen junge Aktivisten Imbangala als Symbol. #StopEcoChaos ist ihr Kampfruf.
Sie sagen: ‘Die Tiv hatten keine Satelliten, keine Klimamodelle, keine Labore. Aber sie hatten Augen. Sie sahen, was passiert, wenn du die Erde zerstörst. Imbangala ist ihre Art, uns alle zu warnen.’ In Berlin oder Hamburg könnten wir ihn Fridays for Future nennen – die Botschaft ist dieselbe.“
„Mythos oder Wissenschaft? Imbangala ist kein Märchendrache. Er ist ein Code, den die Tiv hinterließen, um die Welt zu verstehen, die wir selbst zerstören. Aber können wir von ihnen lernen, wie wir sie retten?“
„Die Tiv fürchteten Imbangala nicht. Sie lernten, mit ihm zu kämpfen – nicht mit Schwertern, nicht mit Pfeilen, sondern mit Einheit.
Ihre Rituale sind keine Aberglauben. Sie sind ein Überlebensplan, der seit Jahrhunderten funktioniert.“
Als wir aufhörten, Yer Tamen zu tanzen, kam die Dürre. Die Erde vertrocknete, die Ernten verschwanden.
Das war kein Zufall. Der Tanz ist Einheit. Einheit ist Leben.“
Yer Tamen ist mehr als ein Tanz. Es ist ein Ritual, bei dem das ganze Dorf Schulter an Schulter steht – Männer, Frauen, Kinder, Älteste. Es ist ein Symbol, dass niemand allein überlebt. Und Ivough – gemeinschaftliche Landwirtschaft – ist ihre Antwort auf das Chaos.
Jeder hat eine Rolle: Die einen säen, die anderen ernten, die Kinder lernen von den Älteren. Wissenschaftler nennen es heute ‘regenerative Landwirtschaft’. Daten zeigen, dass Tiv-Dörfer, die Ivough nutzen, in Dürrezeiten 30 % höhere Erträge haben. Das ist keine Magie. Das ist Weisheit.“
„Ihr nennt mich böse?
Ich zeige euch nur, was ihr selbst getan habt. Jede meiner Schuppen ist euer Plastik im Ozean. Jede Kralle ist eure Minen. Mein Atem? Nur ein Echo eurer Schornsteine. Kämpft nicht gegen mich. Kämpft gegen das Chaos in euch.“
2025 lebt Imbangala – nicht in der Savanne, sondern in Geschichten. In Lagos nutzen junge Aktivisten seinen Namen für Kampagnen. #StopEcoChaos ist ihre Version von Yer Tamen.
Auf Tiv-Festivals verbinden Jugendliche traditionelle Tänze mit Rap über den Klimawandel. Im Kwagh-hir-Theater lehren Drachenpuppen Kinder Respekt vor der Erde. Diese Geschichten erreichen TikTok, X, die Herzen einer neuen Generation – von Abuja bis Berlin.“
„Die Kampagne #StopEcoChaos erreichte 2024 zwei Millionen Nutzer in Nigeria.
Es ist der Beweis, dass alte Geschichten die Welt verändern können.“
Die Tiv zeigten, dass man Chaos besiegen kann. Aber wie können wir, im Jahr 2025, unserem Imbangala entgegentreten?“
Imbangala ist kein Drache der Vergangenheit. Sein Brüllen hallt im Rauschen schmelzender Gletscher, in den brennenden Wäldern des Amazonas, in den gespaltenen Gesellschaften von Lagos bis London. Von Abuja bis zum Schwarzwald.
Doch die Tiv lehren uns, dass Chaos eine Wahl ist, kein Schicksal.“
Wir lernen von Imbangala, um zu erinnern: Die Erde ist unser Zuhause. Wenn wir sie schützen, schläft der Drache. Wenn wir sie zerstören, erwacht er.
Einfach.“
Was kannst du tun? Du musst nicht gegen Imbangala kämpfen.
Pflanz einen Baum – einen kleinen, in deinem Garten. Frag deine Großeltern nach alten Geschichten – vielleicht bergen sie Weisheit, die wir brauchen. Schließ dich einer lokalen Aktion an – Strandreinigung, Protest, ein Gespräch mit dem Nachbarn.
Imbangala sagt: ‘Du musst nicht an mich glauben. Glaub an Einheit, an die Erde, an Erinnerung.’ Und dann… schläft der Drache vielleicht wieder.“
„Dies ist kein Ende. Es ist ein Anfang. Deine Tat, deine Geschichte, deine Einheit – das ist das neue Lied für den Drachen.“
